2015-11-23

Vor der Reformation in Polen



Anfänge des Christentums in Polen, Teil 4

Krise und Spannungen
Während das 13. Jahrhundert eine Zeit der Blüte und Entwicklung der Kirche war, wurden das 14. und 15. Jahrhundert, sowohl politisch als auch geistlich, zu einer Krisenzeit. Es folgte ein gewaltiger Machtkampf, infolge dessen gleichzeitig zwei Päpste regierten (in Avignon und in Rom in den Jahren 1378-1417). Das Konzil von Konstanz beendete diese Zeit, aber die Spannungen und die Kritik an der Regierung des Papstes legten sich nicht.

Es entwickelte sich der sogenannte Konziliarismus- eine Bewegung, die Reformen innerhalb der Kirche anstrebte, basierend auf den Festlegungen der Konzile von Pilzen (1409), Konstanz (1414-1416) und Basel (1413-1419), welche die Macht des Papstes begrenzten. Der  Konziliarismus sah die Kirche als einen mystischen Körper und achtete darauf, dass der höchste Herrscher der Kirche nicht der Papst, sondern das allgemeine Konzil war. Sie verwarf das theokratisch-monarchistische Modell der päpstlichen Regierung der Kirche. In Polen besaß der Konziliarismus eine große Zahl von Anhängern. Besonders wurde er von der Akademie in Krakau und dem Adel propagiert, genau so wie von vielen Theologen, vor allen Dingen in den Orden, wie z.B. Jakub  von Paradyż, Jakub Kanty und  Zbigniew Oleśnicki.
Diese Strömung,nahe am zukünftigen Demokratismus, war auch für den Adel attraktiv. Dies war u.a. der Grund, warum sich der Adel trotz seines Antiklerikalismus nicht den Husitten anschloß. Mitte des 15. Jahrhunderts allerdings gewann der Papst die Auseinandersetzung und wurde ab diesem Moment zur höchsten Autorität.

Dies ist der Zeitraum, in welchem die reformierten Orden wie die Franziskaner und die Dominikaner auch in Polen aufblühten. Von den Franziskanern stammte die Splittergruppe der sogenannten Bernhardiner, die für viele, besonders für die, die die christliche Berufung ernst nahmen, attraktiv war.

In Polen nahmen die Spannungen zwischen dem Adel und dem Klerus zu. Die Kirche wünschte sich eine entscheidende Rolle in der Regierungspolitik zu spielen. Sie wollte selbst über die Frage der Bischofsnachfolge entscheiden, ohne Beteiligung des Königs (der König war oft in der Lage, seine Kanditaten wirksam durchzusetzen). Die materiell-finanziellen und national-politischen Kircheninteressen vermischten sich immer mehr, wie es in den Annales seu cronicae incliti Regni Poloniae (so ist der volle Name) von Jan Długosz deutlich wird, der anerkannte, dass die Interessen der Regierung auch die Interessen der Kirche sind.
Die Kirche bereicherte sich übermäßig. Besonders die Bistümer Krakau und Gnesen verfügten über große Besitztümer sowie hunderte von Dörfern und Kleinstädten.
Der Gnesener Erzbischof-Primas war der erste Mann in der Kirche und der zweite in der Regierung, gleich nach dem König. Im 15. Jahrhundert war der Primas nach dem Tod des Kaisers bis zur Krönung eines Nachfolgers sein Stellvertreter und besaß das Recht zur Einberufung von Kongresswahlen. Der Erzbischof-Primas hatte auch das Recht, den König zu krönen. In der Praxis war der Krakauer Erzbischof genauso wichtig wie der Gnesener. Ein beträchtlicher Teil der königlichen Ratsmitglieder bestand aus den Bischöfen und dem Klerus der Kirche, was der Kirche einen großen Einfluß auf politische Dinge garantierte. Der König kümmerte sich auch um seine Interessen und kontrollierte faktisch die Wahl der neuen Bischöfe. In Europa nomminierte normalerweise der Papst den nächsten Bischof und es war schwer, sich seiner Wahl entgegenzustellen. Doch in Polen zwang der König ihm oft seinen Willen auf. Außerdem existierte seit der Zeit des Königs Kazimierz des Großen der Brauch, dass der König die freie Stelle des Bischofs vertrat, bis ein neuer feststand.
Für den hohen Klerus wurde es immer wichtiger, Karriere zu machen, was ihm großen materiellen Gewinn sowie Führungspositionen eintrug. Dabei wuchs die Anzahl der Streitigkeiten und der Spannungen zwischen dem Adel und der Geistlichkeit. Immer mehr Konflikte betrafen Besitzangelegenheiten, die Frage der Abgabe des Zehnten an die Kirche und dass sie den Kirchengerichten (deren Urteile durch die Staatsgewalt hätten vollstreckt werden müssen) unterstanden.
Das kanonische Recht spielte eine immer wichtigere Rolle im gesellschaftlichen Leben. Oft stand es im Widerspruch zum königlichen oder zum lokalen Gesetz. Z.B. hatte die Regierung nach dem Recht aus dem 13. Jahrhundert Juden zu schützen, was in dem den Juden erteilen Privileg durch Kazimierz den Großen bestätigt wurde. Jedoch das kanonische Recht sprach sich (ab 1215) gegen die Juden aus. Es wurde formal niemals in Polen aufgenommen (Kłoczowski, Titel? s. 64).
Der Adel verteidigte seine Kolonien gegen den Eingriff des kanonischen Rechtes. Dies rief viele  Konflikte zwischen Adel und Kirche hervor. Die Rechtsgelehrten der Kirche verstanden die Situation und passten das Kirchenrecht oft an die lokale Situation an oder führten einen Kompromiss herbei. Auf diese Weise entstanden Kirchenrechtsbücher speziell für einzelne Diözesen.
Jährlich erging die Aufforderung der Zahlung des Zehnten an den Papst auf Grundlage des Einkommens von den Nutznießern der Kirche, berechnet nach der Größe des Besitzes. Jährlich wurden um die 1000 Geldstrafen eingezogen (das entspricht ca. 20 Dörfern oder 20 000 Scheffeln Getreide).
Außerdem existierte eine zusätzliche persönliche Kirchenabgabe, der sogenannte Peterspfennig, zu dem jeder Einwohner des polnischen Landes verpflichtet war (genau wie in vielen anderen europäischen Ländern). Diese Abgabe war für den Unterhalt der päpstlichen Behörde bestimmt.Oft löste sie Streitigkeiten aus und viele hatten keine Lust, sie zu bezahlen. Viele Diözesen zahlten diese Abgabe nicht und Rom hatte keine Möglichkeit, sie einzuziehen und gab es deshalb oft auf. Ab dem 14. Jahrhundert führte man die Pfarreibuchführung ein, wo festgehalten wurde, wer bezahlte und wer nicht. Trotzdem bezahlte die Mehrheit nicht. So wurden z.B. im Jahr 1340 kaum 40% des Peterspfennigs eingesammelt. Dazu  kam der Ausbau der Administration und Bürokratie in den Kirchenstrukturen. Die Geistlichkeit war nicht völlig frei von der Zahlung staatlicher Abgaben. Auch dies war ein Thema für ständig wiederkehrende Streitigkeiten.

Inquisition
Wie überall in Europa, wirkte auch in Polen die Inquisition zur „Verteidigung der wahren” orthodoxen Kirchenlehre. Anfänglich lag die Inquisition in der Verantwortlichkeit der Bischöfe, die verpflichtet waren, eventuelle Heretiker aufzuspüren und zu verhören. Ab dem Jahr 1231 wurden die Dominikaner mit der Pflicht über die Verurteilung der Heretiker betraut.
Die Tätigkeit der Inquisition begann in Niederschlesien, auf Bitten des Breslauer Bischofs Henryk von Wierzysz ?. Es ist dokumentiert, dass am 12. Juli 1315 in Schweidnitz ca. 50 Waldenser auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. Kurz darauf brannten die Scheiterhaufen auch an anderen Orten in Schlesien. Im Jahr 1318 wurde die Papstbulle über die Inquisition in den polnischen Ländern formell eingesetzt.
Ihr anfängliches Ziel war die Suche nach verschiedenen Gruppen, wie den Waldensern und den Geißelbrüdern. Im Vergleich zu anderen Ländern kam es in Polen zu einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von Urteilen. Bei genauerer Betrachtung ist dies eher darauf zurückzuführen, dass es im Königreich Polen auch verhältnismäßig wenige „Heretiker” gab. Trotzdem schätzt man, dass in der ersten Dekade der Inquisition um die 200 Menschen zum Tode verurteilt wurden. Ab dem 15. Jahrhundert, als sich in Böhmen die Hussiten im Aufwind befanden, breitete sich die Tätigkeit der Inquisition auf dem Gebiet Polens aus.

Der Charakter der polnischen religiösen Kultur
Im 15. und 16. Jahrhundert drang das Christentums in seiner westlichen Form in alle Schichten der polnischen Gesellschaft vor und bewirkte deren Umgestaltung. Ähnlich wie in ganz Europa war auch in Polen dieser Zeitraum von großem Belang für die Herausbildung einer christlichen „Kultur”.
Dies wird u.a. daran sichtbar, dass zum Ende des 15. Jahrhunderts fast alle ihren Kindern christliche Namen gaben, nur selten traf man einen wirklich heidnischen Namen. Und man muss daran erinnern, dass der gegebene Name bzw. dessen Bedeutung damals viel wichtiger war als heute.
Das heidnische mystische Denken, bestimmte Praktiken und der Aberglaube verschwanden allerdings nicht. Sie wurden nicht, wie es die Bibel verkündigt, verworfen, sondern sickerten in das Christentum ein, was man sogar bis heute beobachten kann. Z.B. existiert eine Art des magischen Denkens wie das „roten Schleifchen” über dem Kinderwagen, das das Kind vor Unglück bewahren soll. Man gibt auch nicht gerne die Hand an der Haustürschwelle, damit es kein Unglück bringt. So leben noch viele andere Aberglauben, die ihre Quelle nicht im christlichem Glauben, sondern in    der heidnischen Mentaltität haben.

Verschiedene alte heidnische Traditionen verschwanden nicht, sondern wurden in christlichem Sinne neu interpretiert. So ersetzte z.B. Weihnachten das heidnische Fest der Winterwendfeier.
Das Abendessen am Heilig Abend hat seine Quelle in dem slawisch-heidnischen Fest für Wohlstand und Wohlbefinden, das in vorchristlicher Zeit in Gemeinschaft mit den Seelen der Verstorbenen gefeiert wurde. Auch andere Feste mischten sich mit heidnischen Traditionen. So enthält z.B. die Johannisnacht, die noch bis heute in Polen gefeiert wird, heidnische Elemente des Feuerkultes. Der Jahreskalender, die Reihenfolge der Feste und Jahreszeiten, die das Leben der Bauern regelten, wurden in Übereinstimmung mit dem christlichen Glauben interpretiert und verändert. Die kirchlichen Feiertage waren wichtig für die Bauern, weil es für sie Ruhetage waren, an denen es nicht erlaubt war, zu arbeiten. Außer den „biblischen” Feiertagen beging man noch sechs Marienfeiern, die ebenfalls arbeitsfrei waren.

Die Bedeutung Marias
Im 12. Jahrhundert tauchten die ersten Ikonen der Muttergottes mit dem Jesuskind in Polen auf. Ikonen spielen in der Ostkirche eine sehr wichtige Rolle. Sie wurden als „Fenster” zum Himmel wahrgenommen, dank derer man realen Kontakt zur himmlischen Sphäre, zu Gott und den Heiligen, haben kann. Im 14. Jahrhundert lebte eine beachtliche Minderheit Orthodoxer in den Ostgebieten Polens, was ohne Zweifel großen Einfluß auf die Entwicklung eines Inkonenkultes im Land hatte.
Im 14. und 15. Jahrhundert wurden Ikonen für die Leute immer wichtiger, besonders die der Muttergottes, die sich ab dem 14. Jahrhundert im Kloster von Jasna Gora befindet.
Die Marienikonen waren wichtige Ziele der Pilger, denn sie antworteten auf den Bedarf nach einem direkten und nahen Kontakt zur himmlischen Welt.

Maria wurde immer bedeutender in der Kirchen- und Volksfrömmigkeit. Die Leute wollten das Leben Jesu sowie das Seiner Mutter bis ins Detail kennenlernen. Wenn die gesuchten Einzelheiten nicht in den Evangelien zu finden waren, suchten sie sie in der Tradition und gebrauchten, wenn nötig, ihre Vorstellungen (Kłoczowski Titel? 79). Werke wie z.B. „Das Leben des Herrn Jesus Christus”, die detallierte Beschreibungen enthielten, waren im 15. Jahrhundert sehr beliebt.
Die heilige Familie wurde ein Teil der Volksfrömmigkeit. Sie  wurde mit der Dreieinigkeit verknüpft und vermischt. Aber die andere Seite der heiligen Familie war auch sehr volksnah und fungierte als ein konkretes Vorbild für das tägliche Leben.

Orden
In diesem Zeitraum wurde der christliche Glaube für eine größere Gruppe zu einer Sache der Überzeugung. Dies kann auf das Missionswerk der Franziskaner und Dominikaner zurückgeführt werden. Interessant ist der Fakt, dass die Bettelorden nicht predigten, mit Strafe und Hölle drohten,  sondern vielmehr mit positiven Argumenten versuchten, die Hörer von einer Lebensänderung zu überzeugen. Sie hatten einen großen Anteil an der Entwicklung des christlichen Lebens. Sie bestritten die Idee, dass man nur innerhalb der Klostermauern ein wahres christliches Leben führen kann.

Schlussfolgerung
Am Anfang wurde das Christentum den Menschen in Polen, oft unter Zwang, aufgedrängt. Die Kirche fungierte wie ein politisches Institut und auch wie ein ökonomischer Staat. Für die Mehrheit war der Glaube keine Herzensüberzeugung, sondern eine äußerliche, gesellschaftliche Sache. Lange überlebten dadurch viele heidnische Traditionen in irgendeiner Form. Diese Situation ermöglichte, dass sich der Klerus bereicherte und seine Position skrupellos missbrauchte. Zwischen dem König, dem Adel und der Kirche kam es zu Spannungen. Das widerum führte zu einer sehr antiklerikalen Einstellung des Adels, der fortwährend für sein Recht und seine Unabhängigkeit von der Kirche kämpfte.
Ab dem 13. Jahrhundert lässt sich eine Veränderung beobachten. Kritische Störmungen traten auf, riefen zu Reformen und der Rückkehr zur Quelle des Glaubens bzw. zur Offenbarung Gottes auf. Nicht ohne Bedeutung war auch der Einfluss der Bettelorden, die das praktische Christentum näher auf das tägliche Leben übertrugen.

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