Anfänge des Christentums in Polen, Teil 4
Krise und Spannungen
Während das 13. Jahrhundert eine Zeit der Blüte und Entwicklung der
Kirche war, wurden das 14. und 15. Jahrhundert, sowohl politisch als auch
geistlich, zu einer Krisenzeit. Es folgte ein gewaltiger Machtkampf, infolge
dessen gleichzeitig zwei Päpste regierten (in Avignon und in Rom in den Jahren
1378-1417). Das Konzil von Konstanz beendete diese Zeit, aber die Spannungen
und die Kritik an der Regierung des Papstes legten sich nicht.
Es entwickelte sich der sogenannte Konziliarismus- eine Bewegung,
die Reformen innerhalb der Kirche anstrebte, basierend auf den Festlegungen der
Konzile von Pilzen (1409), Konstanz (1414-1416) und Basel (1413-1419), welche
die Macht des Papstes begrenzten. Der
Konziliarismus sah die Kirche als einen mystischen Körper und achtete
darauf, dass der höchste Herrscher der Kirche nicht der Papst, sondern das
allgemeine Konzil war. Sie verwarf das theokratisch-monarchistische Modell der
päpstlichen Regierung der Kirche. In Polen besaß der Konziliarismus eine große
Zahl von Anhängern. Besonders wurde er von der Akademie in Krakau und dem Adel
propagiert, genau so wie von vielen Theologen, vor allen Dingen in den Orden,
wie z.B. Jakub von Paradyż, Jakub Kanty
und Zbigniew Oleśnicki.
Diese Strömung,nahe am zukünftigen Demokratismus, war auch für den
Adel attraktiv. Dies war u.a. der Grund, warum sich der Adel trotz seines
Antiklerikalismus nicht den Husitten anschloß. Mitte des 15. Jahrhunderts
allerdings gewann der Papst die Auseinandersetzung und wurde ab diesem Moment
zur höchsten Autorität.
Dies ist der Zeitraum, in welchem die reformierten Orden wie die
Franziskaner und die Dominikaner auch in Polen aufblühten. Von den
Franziskanern stammte die Splittergruppe der sogenannten Bernhardiner, die für
viele, besonders für die, die die christliche Berufung ernst nahmen, attraktiv
war.
In Polen nahmen die Spannungen zwischen dem Adel und dem Klerus zu.
Die Kirche wünschte sich eine entscheidende Rolle in der Regierungspolitik zu
spielen. Sie wollte selbst über die Frage der Bischofsnachfolge entscheiden,
ohne Beteiligung des Königs (der König war oft in der Lage, seine Kanditaten
wirksam durchzusetzen). Die materiell-finanziellen und national-politischen
Kircheninteressen vermischten sich immer mehr, wie es in den Annales seu cronicae incliti Regni Poloniae (so
ist der volle Name) von Jan Długosz deutlich wird, der anerkannte, dass die
Interessen der Regierung auch die Interessen der Kirche sind.
Die Kirche bereicherte sich übermäßig. Besonders die Bistümer
Krakau und Gnesen verfügten über große Besitztümer sowie hunderte von Dörfern
und Kleinstädten.
Der Gnesener Erzbischof-Primas war der erste Mann in der Kirche und
der zweite in der Regierung, gleich nach dem König. Im 15. Jahrhundert war der
Primas nach dem Tod des Kaisers bis zur Krönung eines Nachfolgers sein
Stellvertreter und besaß das Recht zur Einberufung von Kongresswahlen. Der
Erzbischof-Primas hatte auch das Recht, den König zu krönen. In der Praxis war
der Krakauer Erzbischof genauso wichtig wie der Gnesener. Ein beträchtlicher
Teil der königlichen Ratsmitglieder bestand aus den Bischöfen und dem Klerus
der Kirche, was der Kirche einen großen Einfluß auf politische Dinge
garantierte. Der König kümmerte sich auch um seine Interessen und kontrollierte
faktisch die Wahl der neuen Bischöfe. In Europa nomminierte normalerweise der
Papst den nächsten Bischof und es war schwer, sich seiner Wahl
entgegenzustellen. Doch in Polen zwang der König ihm oft seinen Willen auf.
Außerdem existierte seit der Zeit des Königs Kazimierz des Großen der Brauch,
dass der König die freie Stelle des Bischofs vertrat, bis ein neuer feststand.
Für den hohen Klerus wurde es immer wichtiger, Karriere zu machen,
was ihm großen materiellen Gewinn sowie Führungspositionen eintrug. Dabei wuchs
die Anzahl der Streitigkeiten und der Spannungen zwischen dem Adel und der
Geistlichkeit. Immer mehr Konflikte betrafen Besitzangelegenheiten, die Frage
der Abgabe des Zehnten an die Kirche und dass sie den Kirchengerichten (deren
Urteile durch die Staatsgewalt hätten vollstreckt werden müssen) unterstanden.
Das kanonische Recht spielte eine immer wichtigere Rolle im
gesellschaftlichen Leben. Oft stand es im Widerspruch zum königlichen oder zum
lokalen Gesetz. Z.B. hatte die Regierung nach dem Recht aus dem 13. Jahrhundert
Juden zu schützen, was in dem den Juden erteilen Privileg durch Kazimierz den
Großen bestätigt wurde. Jedoch das kanonische Recht sprach sich (ab 1215) gegen
die Juden aus. Es wurde formal niemals in Polen aufgenommen (Kłoczowski, Titel?
s. 64).
Der Adel verteidigte seine Kolonien gegen den Eingriff des
kanonischen Rechtes. Dies rief viele
Konflikte zwischen Adel und Kirche hervor. Die Rechtsgelehrten der
Kirche verstanden die Situation und passten das Kirchenrecht oft an die lokale
Situation an oder führten einen Kompromiss herbei. Auf diese Weise entstanden
Kirchenrechtsbücher speziell für einzelne Diözesen.
Jährlich erging die Aufforderung der Zahlung des Zehnten an den
Papst auf Grundlage des Einkommens von den Nutznießern der Kirche, berechnet
nach der Größe des Besitzes. Jährlich wurden um die 1000 Geldstrafen eingezogen
(das entspricht ca. 20 Dörfern oder 20 000 Scheffeln Getreide).
Außerdem existierte eine zusätzliche persönliche Kirchenabgabe, der
sogenannte Peterspfennig, zu dem jeder Einwohner des polnischen Landes
verpflichtet war (genau wie in vielen anderen europäischen Ländern). Diese
Abgabe war für den Unterhalt der päpstlichen Behörde bestimmt.Oft löste sie
Streitigkeiten aus und viele hatten keine Lust, sie zu bezahlen. Viele Diözesen
zahlten diese Abgabe nicht und Rom hatte keine Möglichkeit, sie einzuziehen und
gab es deshalb oft auf. Ab dem 14. Jahrhundert führte man die
Pfarreibuchführung ein, wo festgehalten wurde, wer bezahlte und wer nicht.
Trotzdem bezahlte die Mehrheit nicht. So wurden z.B. im Jahr 1340 kaum 40% des
Peterspfennigs eingesammelt. Dazu kam
der Ausbau der Administration und Bürokratie in den Kirchenstrukturen. Die
Geistlichkeit war nicht völlig frei von der Zahlung staatlicher Abgaben. Auch
dies war ein Thema für ständig wiederkehrende Streitigkeiten.
Inquisition
Wie überall in Europa, wirkte auch in Polen die Inquisition zur
„Verteidigung der wahren” orthodoxen Kirchenlehre. Anfänglich lag die
Inquisition in der Verantwortlichkeit der Bischöfe, die verpflichtet waren,
eventuelle Heretiker aufzuspüren und zu verhören. Ab dem Jahr 1231 wurden die
Dominikaner mit der Pflicht über die Verurteilung der Heretiker betraut.
Die Tätigkeit der Inquisition begann in Niederschlesien, auf Bitten
des Breslauer Bischofs Henryk von Wierzysz ?. Es ist dokumentiert, dass am 12.
Juli 1315 in Schweidnitz ca. 50 Waldenser auf dem Scheiterhaufen verbrannt
wurden. Kurz darauf brannten die Scheiterhaufen auch an anderen Orten in
Schlesien. Im Jahr 1318 wurde die Papstbulle über die Inquisition in den
polnischen Ländern formell eingesetzt.
Ihr anfängliches Ziel war die Suche nach verschiedenen Gruppen, wie
den Waldensern und den Geißelbrüdern. Im Vergleich zu anderen Ländern kam es in
Polen zu einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von Urteilen. Bei genauerer
Betrachtung ist dies eher darauf zurückzuführen, dass es im Königreich Polen
auch verhältnismäßig wenige „Heretiker” gab. Trotzdem schätzt man, dass in der
ersten Dekade der Inquisition um die 200 Menschen zum Tode verurteilt wurden.
Ab dem 15. Jahrhundert, als sich in Böhmen die Hussiten im Aufwind befanden,
breitete sich die Tätigkeit der Inquisition auf dem Gebiet Polens aus.
Der Charakter der polnischen religiösen Kultur
Im 15. und 16. Jahrhundert drang das Christentums in seiner
westlichen Form in alle Schichten der polnischen Gesellschaft vor und bewirkte
deren Umgestaltung. Ähnlich wie in ganz Europa war auch in Polen dieser
Zeitraum von großem Belang für die Herausbildung einer christlichen „Kultur”.
Dies wird u.a. daran sichtbar, dass zum Ende des 15. Jahrhunderts
fast alle ihren Kindern christliche Namen gaben, nur selten traf man einen
wirklich heidnischen Namen. Und man muss daran erinnern, dass der gegebene Name
bzw. dessen Bedeutung damals viel wichtiger war als heute.
Das heidnische mystische Denken, bestimmte Praktiken und der
Aberglaube verschwanden allerdings nicht. Sie wurden nicht, wie es die Bibel
verkündigt, verworfen, sondern sickerten in das Christentum ein, was man sogar
bis heute beobachten kann. Z.B. existiert eine Art des magischen Denkens wie
das „roten Schleifchen” über dem Kinderwagen, das das Kind vor Unglück bewahren
soll. Man gibt auch nicht gerne die Hand an der Haustürschwelle, damit es kein
Unglück bringt. So leben noch viele andere Aberglauben, die ihre Quelle nicht
im christlichem Glauben, sondern in
der heidnischen Mentaltität haben.
Verschiedene alte heidnische Traditionen verschwanden nicht,
sondern wurden in christlichem Sinne neu interpretiert. So ersetzte z.B.
Weihnachten das heidnische Fest der Winterwendfeier.
Das Abendessen am Heilig Abend hat seine Quelle in dem
slawisch-heidnischen Fest für Wohlstand und Wohlbefinden, das in
vorchristlicher Zeit in Gemeinschaft mit den Seelen der Verstorbenen gefeiert
wurde. Auch andere Feste mischten sich mit heidnischen Traditionen. So enthält
z.B. die Johannisnacht, die noch bis heute in Polen gefeiert wird, heidnische
Elemente des Feuerkultes. Der Jahreskalender, die Reihenfolge der Feste und
Jahreszeiten, die das Leben der Bauern regelten, wurden in Übereinstimmung mit
dem christlichen Glauben interpretiert und verändert. Die kirchlichen Feiertage
waren wichtig für die Bauern, weil es für sie Ruhetage waren, an denen es nicht
erlaubt war, zu arbeiten. Außer den „biblischen” Feiertagen beging man noch
sechs Marienfeiern, die ebenfalls arbeitsfrei waren.
Die Bedeutung Marias
Im 12. Jahrhundert tauchten die ersten Ikonen der Muttergottes mit
dem Jesuskind in Polen auf. Ikonen spielen in der Ostkirche eine sehr wichtige
Rolle. Sie wurden als „Fenster” zum Himmel wahrgenommen, dank derer man realen
Kontakt zur himmlischen Sphäre, zu Gott und den Heiligen, haben kann. Im 14.
Jahrhundert lebte eine beachtliche Minderheit Orthodoxer in den Ostgebieten
Polens, was ohne Zweifel großen Einfluß auf die Entwicklung eines Inkonenkultes
im Land hatte.
Im 14. und 15. Jahrhundert wurden Ikonen für die Leute immer
wichtiger, besonders die der Muttergottes, die sich ab dem 14. Jahrhundert im
Kloster von Jasna Gora befindet.
Die Marienikonen waren wichtige Ziele der Pilger, denn sie
antworteten auf den Bedarf nach einem direkten und nahen Kontakt zur
himmlischen Welt.
Maria wurde immer bedeutender in der Kirchen- und Volksfrömmigkeit.
Die Leute wollten das Leben Jesu sowie das Seiner Mutter bis ins Detail
kennenlernen. Wenn die gesuchten Einzelheiten nicht in den Evangelien zu finden
waren, suchten sie sie in der Tradition und gebrauchten, wenn nötig, ihre
Vorstellungen (Kłoczowski Titel? 79). Werke wie z.B. „Das Leben des Herrn Jesus
Christus”, die detallierte Beschreibungen enthielten, waren im 15. Jahrhundert
sehr beliebt.
Die heilige Familie wurde ein Teil der Volksfrömmigkeit. Sie wurde mit der Dreieinigkeit verknüpft und
vermischt. Aber die andere Seite der heiligen Familie war auch sehr volksnah
und fungierte als ein konkretes Vorbild für das tägliche Leben.
Orden
In diesem Zeitraum wurde der christliche Glaube für eine größere
Gruppe zu einer Sache der Überzeugung. Dies kann auf das Missionswerk der
Franziskaner und Dominikaner zurückgeführt werden. Interessant ist der Fakt,
dass die Bettelorden nicht predigten, mit Strafe und Hölle drohten, sondern vielmehr mit positiven Argumenten versuchten,
die Hörer von einer Lebensänderung zu überzeugen. Sie hatten einen großen
Anteil an der Entwicklung des christlichen Lebens. Sie bestritten die Idee,
dass man nur innerhalb der Klostermauern ein wahres christliches Leben führen
kann.
Schlussfolgerung
Am Anfang wurde das Christentum den Menschen in Polen, oft unter
Zwang, aufgedrängt. Die Kirche fungierte wie ein politisches Institut und auch
wie ein ökonomischer Staat. Für die Mehrheit war der Glaube keine
Herzensüberzeugung, sondern eine äußerliche, gesellschaftliche Sache. Lange überlebten
dadurch viele heidnische Traditionen in irgendeiner Form. Diese Situation
ermöglichte, dass sich der Klerus bereicherte und seine Position skrupellos
missbrauchte. Zwischen dem König, dem Adel und der Kirche kam es zu Spannungen.
Das widerum führte zu einer sehr antiklerikalen Einstellung des Adels, der
fortwährend für sein Recht und seine Unabhängigkeit von der Kirche kämpfte.
Ab dem 13. Jahrhundert lässt sich eine Veränderung beobachten.
Kritische Störmungen traten auf, riefen zu Reformen und der Rückkehr zur Quelle
des Glaubens bzw. zur Offenbarung Gottes auf. Nicht ohne Bedeutung war auch der
Einfluss der Bettelorden, die das praktische Christentum näher auf das tägliche
Leben übertrugen.