Lukas 12,
13-21
13 Einer aus der Volksmenge aber
sprach zu ihm: Lehrer, sage meinem Bruder, dass er das Erbe mit mir teile!
16 Er sagte aber ein Gleichnis
zu ihnen und sprach: Das Land eines reichen Menschen trug viel ein. 17 Und er überlegte bei sich
selbst und sprach: Was soll ich tun? Denn ich habe nicht, wohin ich meine
Früchte einsammeln soll. 18 Und er sprach: Dies will
ich tun: Ich will meine Scheunen niederreißen und größere bauen und will dahin
all mein Korn und meine Güter einsammeln; 19 und ich will zu meiner
Seele sagen: Seele, du hast viele Güter liegen auf viele Jahre. Ruhe aus, iss,
trink, sei fröhlich! 20 Gott
aber sprach zu ihm: Du Tor! In dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Was du aber bereitet hast, für wen
wird es sein?
Kontext
Das Thema
Reichtum und die Art, damit umzugehen tritt auch oft im Alten Testament auf.
Und ebenso in anderer
jüdisch-traditioneller Literatur (s. z.B. Sirach 31, 5-11), sowie wie in der
griechisch-römischen Kultur.
Das gesamte
Kapitel 12,4-59 im Lukasevangelium dreht sich um Themen wie Furcht, Unruhe und
das Gefühl von Sicherheit. Zuerst ist die Rede davon, wen man fürchten soll
(Verse 4 u. 5) und dann davon, dass man sich nicht fürchten und sorgen braucht
(Vers 7).
In den
Versen 13-14 sagt Jesus, dass Er nicht gekommen ist, um zu teilen, aber danach,
in den Versen 51-53, erinnert Jesus daran, dass Er Teilungen verursacht.
Genau wie
die anderen Gleichnisse, muss man auch dieses im Kontext prüfen.
In der
vorhergehenden Passage redet Jesus von dem Ausharren in Verfolgung, als
plötzlich die Erzählung durch das Erscheinen von Personen unterbrochen wird,
die Seine Hilfe brauchen. Es scheint, als habe das Thema nichts mit dem Kontext
gemein. Und zwar kommt jemand mit einem konkreten Rechtsproblem zu Jesus. Die
Lehrer waren Spezialisten auf dem Gebiet des Rechtes und wurden oft gebeten, in
konkreten Dingen zu richten. Jesus sieht Seine Mission jedoch anders. Es ging
in dieser Bitte nicht um die Vermittlung Jesu zwischen zwei Brüdern. Derjenige,
der bat, war sicher, dass er ein Recht hatte auf einen Teil der Erbschaft und
wollte, dass Jesus seine Wünsche erfüllt. Er wollte Jesus für seine eigenen
Ziele benutzen.
Das Problem
ist folgendes: Der Vater stirbt und hinterlässt alles seinen Söhnen als Ganzes.
Die Söhne müssen entweder gemeinsam wirtschaften oder die Wirtschaft teilen.
Die Rabbiner behaupteten, wenn eine der Seiten die Teilung des Besitzes
fordert, muss es so geschehen. Das römische Recht erforderte die Einigung
beider Seiten. Das Gesetz Moses äußert sich nicht zu allen Situationen (4. Mose
27,1-11, 5. Mose 21,16-17), deshalb richteten die Rechtsgelehrten in konkreten
Fällen.
Dieser
Mensch wünscht sich, dass Jesus sein Recht auf Teilung bestätigt und ihm Recht
gibt. Die Antwort Jesu war allerdings anders als erwartet.
Im
griechischen Text finden wir einen sehr seltenen Ausdruck, der im Neuen
Testament nur an dieser Stelle vorkommt: meristés,
das bedeutet „den, der teilt”. Es folgt ein gewisses Wortspiel. Dieser
Ausdruck ähnelt sehr einem anderen: mesités, das bedeutet „den, der
vereinigt”.
Jesus will
nicht richten, Er will nicht teilen. Er wünscht sich, zu versöhnen, zu
vereinen.
Analyse des
Gleichnisses
Danach
erzählte Jesus ein Gleichnis.
Das ganze
Gleichnis ist von zwei Sprüchen aus der Weisheitstradition eingerahmt. (Vers 15
u 21).
Und er
sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt
davon, dass er viele Güter hat. (Vers 15).
Es enthält
eine Warnung: materielle Dinge sind notwendig zum Leben, aber das bedeutet
nicht, dass du umso besser lebst, umso mehr du besitzt.
Diese
Erklärung, die vor der Habgier warnt, gibt uns den Schlüssel, um das Gleichnis
zu verstehen. Der reiche Bauer aus dem Gleichnis ist eine Illustration der
Habgier, vor der man sich in Acht nehmen soll.
Es ist nicht
beschrieben, auf welche Art und Weise die Person des Gleichnisses zu Reichtum
kam und wir finden auch keine Kritik an seinem Reichtum selbst.
Reiche und
Reichtum im Lukasevangelium, das vor allem seine Aufmerksamkeit auf Arme und die
Hilfe der Armen richtet, haben gewöhnlich eine negative Assoziation und Bedeutung
(siehe Lukas 1,52-53; 6,24).
Das Thema
Reichtum und die Ergötzung daran ist allgemein bekannt und nichts Neues.
Siehe z.B. Psalm 49, Prediger 2,1-11;
Hiob 31,24-28. Das Thema finden wir auch im Buch der Weisheiten Jesus Sirach
(11,18-19), welches kein Teil der Bibel ist, aber für die Juden des 1.
Jahrhunderts n.Chr. zu einer wichtigen Quelle des jüdische Wissens und der
jüdischen Weisheit wurde. Dieses Thema war auch ein grundlegender Gedanke in
der griechischen und römischen Philosophie.
Im Gleichnis
erhält der Reiche noch mehr Reichtum, für den er nicht zusätzlich arbeiten
muss. Reichtum in Gestalt unerwarteter, überfließender Frucht.
Die Frage
ist nicht, wie gut es ist, einen solchen Reichtum zu erhalten (es ist ein
offensichtliches Geschenk Gottes), sondern was man damit macht.
Eine Zeit
lang denkt dieser Mensch darüber nach, was zu tun ist. Wir finden im Text nicht
ein Wort zum Thema Dankbarkeit, sondern nur die Sorge darüber, wo er angemessen
„seine” Ernte unterbringen kann. Im gesamten Gleichnis wird immer wieder
betont, dass jener Mensch alles als sein Eigentum betrachtete: meine Ernte,
meine Speicher, mein Getreide und Gut. Er wünscht sich, alles für sich zu
behalten.
Dieser
Mensch überlegt sich, was zu tun ist. Er erwägt das Problem nicht mit anderen,
sondern nur mit sich selbst (Vers 19). Im Lukasevangelium hat das Gespräch mit
sich selbst im Sinne von Sich selbst überlegen ebenfalls eine negative
Assoziation (siehe Lukas 5,21-22; 6,8;
9,46-47).
Im Nahen
Osten lebt man um vieles gemeinschaftlicher als im individualisierten Europa.
Dort trifft niemand eine solch wichtige Entscheidung im Alleingang. Das normale
Procedere ist, wenn jemand darüber nachdenkt, größere Speicher zu bauen, lange
mit anderen darüber zu beraten. Zu jenen Zeiten war der Platz derartiger
Diskussionen das Stadttor. Der Mensch im Gleichnis allerdings redete über seine
Probleme nicht mit anderen, sondern diskutierte mit sich selbst (wie es
wörtlich in Vers 17 im griechischen Text steht). Es ist der feine Hinweis
darauf, dass dieser Mensch nicht mit anderen teilen wollte und möglicherweise
allein war, abgeschnitten von der Gesellschaft.
Jetzt will
er sich freuen. Auf Griechisch wieder ein Wortspiel: eufrainō bedeutet „sich ergötzen an allen Aspekten des guten
Lebens”. Es ist ein seltener Ausdruck, im Klang sehr ähnlich wie der Begriff euforiō,
welcher „Früchte tragen in Vielzahl” bedeutet (im Vers 16 übersetzt mit „es
trug viel ein”).
Im Vers 20
spricht Gott zu ihm und nennt ihn Tor. Der griechische Text benutzt den
Ausdruck afron, der in der Septuaginta (der griechisch-jüdischen
Übersetzung des Alten Testamentes, populär im 1. Jahrhundert n.Chr.) immer
bedeutet, dass jemand sich gegen Gott auflehnt, bzw. überhaupt nicht mit Gott
rechnet. In der Sprache des neutestamentlichen Griechisch ist das der stärkste
Ausdruck, um einen Dummen zu definieren.
Der Reiche,
der denkt, dass materieller Überfluss (Vers 16: euforeō) ihm ein gutes Leben bringt (Vers 19: eufrianō = sich freuen) ist in Wahrheit ein Narr (Vers 20: afrōn).
Der
Ausdruck, der mit fordern übersetzt ist (Vers 20, griech. Apaiteō) bedeutet die einfache Bitte
nach der Rückgabe von etwas, die Forderung nach der Zurückzahlung eines Darlehens.
Seine Seele war geliehen und der Eigentümer, Gott, fordert jetzt seinen
Besitztum zurück.
Er bekam
unerwartet großen Reichtum und dachte, er wäre sein Eigentum, aber er irrte
sich. Alles, was er hat, empfing er von Gott, nicht einmal seine Seele gehört
ihm. Gott nennt ihn einen Toren. Wir finden im Text keine Anschuldigung, nicht
einmal die Frage, warum er selbstsüchtig alles für sich behalten möchte, warum
er nicht einen Teil seiner Güter für die Hilfe der Armen einsetzt. Gott sagt zu
ihm: Sieh ehrlich auf dich selbst! Alles hast du angehäuft, aber was besitzt du
wirklich? (Siehe Psalm 49, 11). Hier endet das Gleichnis. Wir hören nicht die
Antwort des Toren, wir kennen nicht seine weitere Geschichte.
Zum
Abschluss finden wir eine zweite Aussage aus der Tradition der Weisheit (Vers
21). Sie macht einige Schwierigkeiten bei der Übersetzung. Wörtlich würde sie
so klingen:
So wird es
jedem ergehen, der Schätze für sich sammelt und nicht Reichtum für Gott
sammelt.
Das
Griechische verwendet zweimal ein aktives Verb, was im Großteil der
Übersetzungen nicht sichtbar ist.
Der Tor also
arbeitet und investiert seine Zeit und Energie in die Anhäufung materiellen
Reichtums für sich selbst, statt seine Energie und Arbeit dem Dienst Gottes zu
weihen (bzw. sie Gott zu opfern).
In beiden
Fällen geht es um eine aktive Handlung des Menschen. Leben und Anhäufen nur für
sich oder Leben und Anhäufen für Gott- in einem wie im anderen Fall ist es
etwas Aktives (siehe Lukas 12,33-34.).
Am Anfang (Vers 15) bemerken wir die Faustregel:
das Leben hängt nicht vom Reichtum ab.
Am Ende
(Vers 21) finden wir die zweite wichtige Grundlage: den Reichtum soll man als
Geschenk Gottes gebrauchen. Und die von Gott erhaltenen Geschenke soll man an
Ihn zurückgeben.
Anwendung
Das Gleichnis
wirft die Frage nach der Bedeutung des Lebens auf. Es ist ein Kommentar zur
Behauptung, dass die Qualität des Lebens nicht vom Reichtum abhängt (Vers 15).
Zwar
erinnert das Gleichnis selbst nicht an die Sorge für die Armen, aber aus dem
gesamten Lukasevangelium wissen wir, dass Reiche eine Verantwortung für die
Armen haben. Das bedeutet auch konkrete materielle Fürsorge und Hilfe (siehe
z.B. Lukas 11,41; 12,33; 16,9)
Das
Gleichnis äußert sich nicht unmittelbar zur Hilfe für die Armen in materieller
Hinsicht, aber jeder Jude wusste, dass Reichsein vor Gott bedeutete, sich
konkret um Arme zu kümmern. Der Reiche im Gleichnis war habgierig. Das ist
genau das Gegenteil davon, den Armen zu helfen.
Das
Gleichnis verurteilt nicht den Reichtum an sich. Die Frage ist nicht, ob
Reichsein etwas Gutes oder Schlechtes ist, sondern was wir damit tun, bzw.
welchen Platz materielle Dinge in unserem Leben einnehmen.
Wir leben in
einer materialistischen Gesellschaft. Für viele -und das betrifft auch
Christen- ist eines der wichtigsten Ziele im Leben, fortwährend mehr zu
verdienen, um in der Lage zu sein, ein teureres Auto zu kaufen, teurere
Kleidung usw. Und auch, um sich die Altervorsorge zu sichern, die den höchsten
Gewinn abwirft. Das alles beruht auf dem Gedanken, dass die Qualität deines
Lebens umso höher ist und du umso sicherer bist, umso mehr du besitzt.
Tatsächlich bedeutet für viele das gesamte Leben der Besitz materieller Güter.
Das betrifft
auch die Ärmeren. Für viele Ärmere ist Reichtum ebenso wichtig wie für die
Vermögenden. Vielleicht ist der Reichtum für sie unerreichbar, doch er wird zum
Ideal, das sie anstreben. Das Gleichnis stellt sich sehr deutlich der gerade
üblichen populären Mentalität entgegen.
Die
gegenwärtige Schuldenkrise entstand durch menschliche Habgier. Banken und
Firmen wollen immer höhere Gewinne erzielen, niemals haben sie genug. Es ist
eine extreme Form der Habgier, welche letzten Endes den einzelnen Menschen,
aber auch die Gesellschaft zerstört.
Genau dieselbe
Habgier finden wir auch bei uns. Mag sein, dass wir weniger besitzen und
geringeren Einfluss und weniger Möglichkeiten haben, aber es ist die gleiche
Habgier, ähnlich schädlich und zerstörerisch.
Jesus
korrigiert auch das Denken: alles, was wir besitzen haben wir als Darlehen von
Gott bekommen. Wichtig ist, was wir mit unserem Reichtum tun. Gott möchte, dass
wir uns auf Ihn und den Dienst für Ihn konzentrieren. Die beste, sicherste und
günstigste Versicherung können wir nur bei Ihm finden.
Der Apostel
Paulus schreibt, warum wir arbeiten: als erstes, damit wir nicht eine Belastung
für andere sind (1 Thess. 2,9), bzw. damit wir dem Bedürftigen abgeben
können (Eph. 4, 28). Das stellt materielle Dinge in ein anderes Licht.
Wir brauchen
Geld, um zu leben, die Miete zu bezahlen usw., damit andere nicht für uns
bezahlen müssen. Aber wir sollen auch mit anderen teilen, die nicht so viel
Glück hatten und nicht so viel besitzen, um im Stande zu sein, sich über Wasser
zu halten.
Dieses
Gleichnis ist also nicht nur für Reiche. Die törichte Suche nach Sicherheit in
materiellen Gütern ist etwas, dass alle, selbst die Ärmsten, betreffen kann.
Jesus
konfrontiert uns im Nachdenken über das Gleichnis mit einer Frage: Sind wir
wirklich anders als die uns umgebende Welt, setzen wir unsere Hoffnung auf
materielle Güter oder auf Ihn?