2015-04-16

Das Gleichnis vom reichen Kornbauern



Lukas 12, 13-21

13 Einer aus der Volksmenge aber sprach zu ihm: Lehrer, sage meinem Bruder, dass er das Erbe mit mir teile!
14 Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich als Richter oder Erbteiler über euch eingesetzt?
15 Er sprach aber zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habsucht! Denn auch wenn jemand Überfluss hat, besteht sein Leben nicht aus seiner Habe.
16 Er sagte aber ein Gleichnis zu ihnen und sprach: Das Land eines reichen Menschen trug viel ein.  17 Und er überlegte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Denn ich habe nicht, wohin ich meine Früchte einsammeln soll. 18 Und er sprach: Dies will ich tun: Ich will meine Scheunen niederreißen und größere bauen und will dahin all mein Korn und meine Güter einsammeln;  19 und ich will zu meiner Seele sagen: Seele, du hast viele Güter liegen auf viele Jahre. Ruhe aus, iss, trink, sei fröhlich!  20 Gott aber sprach zu ihm: Du Tor! In dieser Nacht wird man deine Seele von dir fordern. Was du aber bereitet hast, für wen wird es sein?
21 So ist, der für sich Schätze sammelt und nicht reich ist im Blick auf Gott.


Kontext
Das Thema Reichtum und die Art, damit umzugehen tritt auch oft im Alten Testament auf. Und  ebenso in anderer jüdisch-traditioneller Literatur (s. z.B. Sirach 31, 5-11), sowie wie in der griechisch-römischen Kultur.
Das gesamte Kapitel 12,4-59 im Lukasevangelium dreht sich um Themen wie Furcht, Unruhe und das Gefühl von Sicherheit. Zuerst ist die Rede davon, wen man fürchten soll (Verse 4 u. 5) und dann davon, dass man sich nicht fürchten und sorgen braucht (Vers 7).
In den Versen 13-14 sagt Jesus, dass Er nicht gekommen ist, um zu teilen, aber danach, in den Versen 51-53, erinnert Jesus daran, dass Er Teilungen verursacht.

Genau wie die anderen Gleichnisse, muss man auch dieses im Kontext prüfen.
In der vorhergehenden Passage redet Jesus von dem Ausharren in Verfolgung, als plötzlich die Erzählung durch das Erscheinen von Personen unterbrochen wird, die Seine Hilfe brauchen. Es scheint, als habe das Thema nichts mit dem Kontext gemein. Und zwar kommt jemand mit einem konkreten Rechtsproblem zu Jesus. Die Lehrer waren Spezialisten auf dem Gebiet des Rechtes und wurden oft gebeten, in konkreten Dingen zu richten. Jesus sieht Seine Mission jedoch anders. Es ging in dieser Bitte nicht um die Vermittlung Jesu zwischen zwei Brüdern. Derjenige, der bat, war sicher, dass er ein Recht hatte auf einen Teil der Erbschaft und wollte, dass Jesus seine Wünsche erfüllt. Er wollte Jesus für seine eigenen Ziele benutzen.
Das Problem ist folgendes: Der Vater stirbt und hinterlässt alles seinen Söhnen als Ganzes. Die Söhne müssen entweder gemeinsam wirtschaften oder die Wirtschaft teilen. Die Rabbiner behaupteten, wenn eine der Seiten die Teilung des Besitzes fordert, muss es so geschehen. Das römische Recht erforderte die Einigung beider Seiten. Das Gesetz Moses äußert sich nicht zu allen Situationen (4. Mose 27,1-11, 5. Mose 21,16-17), deshalb richteten die Rechtsgelehrten in konkreten Fällen.

Dieser Mensch wünscht sich, dass Jesus sein Recht auf Teilung bestätigt und ihm Recht gibt. Die Antwort Jesu war allerdings anders als erwartet.

Im griechischen Text finden wir einen sehr seltenen Ausdruck, der im Neuen Testament nur an dieser Stelle vorkommt: meristés, das bedeutet „den, der teilt”. Es folgt ein gewisses Wortspiel. Dieser Ausdruck ähnelt sehr einem anderen: mesités, das bedeutet „den, der vereinigt”.
Jesus will nicht richten, Er will nicht teilen. Er wünscht sich, zu versöhnen, zu vereinen.

Analyse des Gleichnisses
Danach erzählte Jesus ein Gleichnis.
Das ganze Gleichnis ist von zwei Sprüchen aus der Weisheitstradition eingerahmt. (Vers 15 u 21).
Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat. (Vers 15).
Es enthält eine Warnung: materielle Dinge sind notwendig zum Leben, aber das bedeutet nicht, dass du umso besser lebst, umso mehr du besitzt.
Diese Erklärung, die vor der Habgier warnt, gibt uns den Schlüssel, um das Gleichnis zu verstehen. Der reiche Bauer aus dem Gleichnis ist eine Illustration der Habgier, vor der man sich in Acht nehmen soll.
Es ist nicht beschrieben, auf welche Art und Weise die Person des Gleichnisses zu Reichtum kam und wir finden auch keine Kritik an seinem Reichtum selbst.
Reiche und Reichtum im Lukasevangelium, das vor allem seine Aufmerksamkeit auf Arme und die Hilfe der Armen richtet, haben gewöhnlich eine negative Assoziation und Bedeutung (siehe Lukas 1,52-53; 6,24).
Das Thema Reichtum und die Ergötzung daran ist allgemein bekannt und nichts Neues. Siehe  z.B. Psalm 49, Prediger 2,1-11; Hiob 31,24-28. Das Thema finden wir auch im Buch der Weisheiten Jesus Sirach (11,18-19), welches kein Teil der Bibel ist, aber für die Juden des 1. Jahrhunderts n.Chr. zu einer wichtigen Quelle des jüdische Wissens und der jüdischen Weisheit wurde. Dieses Thema war auch ein grundlegender Gedanke in der griechischen und römischen Philosophie.
Im Gleichnis erhält der Reiche noch mehr Reichtum, für den er nicht zusätzlich arbeiten muss. Reichtum in Gestalt unerwarteter, überfließender Frucht.
Die Frage ist nicht, wie gut es ist, einen solchen Reichtum zu erhalten (es ist ein offensichtliches Geschenk Gottes), sondern was man damit macht.

Eine Zeit lang denkt dieser Mensch darüber nach, was zu tun ist. Wir finden im Text nicht ein Wort zum Thema Dankbarkeit, sondern nur die Sorge darüber, wo er angemessen „seine” Ernte unterbringen kann. Im gesamten Gleichnis wird immer wieder betont, dass jener Mensch alles als sein Eigentum betrachtete: meine Ernte, meine Speicher, mein Getreide und Gut. Er wünscht sich, alles für sich zu behalten.

Dieser Mensch überlegt sich, was zu tun ist. Er erwägt das Problem nicht mit anderen, sondern nur mit sich selbst (Vers 19). Im Lukasevangelium hat das Gespräch mit sich selbst im Sinne von Sich selbst überlegen ebenfalls eine negative Assoziation (siehe Lukas  5,21-22; 6,8; 9,46-47).
Im Nahen Osten lebt man um vieles gemeinschaftlicher als im individualisierten Europa. Dort trifft niemand eine solch wichtige Entscheidung im Alleingang. Das normale Procedere ist, wenn jemand darüber nachdenkt, größere Speicher zu bauen, lange mit anderen darüber zu beraten. Zu jenen Zeiten war der Platz derartiger Diskussionen das Stadttor. Der Mensch im Gleichnis allerdings redete über seine Probleme nicht mit anderen, sondern diskutierte mit sich selbst (wie es wörtlich in Vers 17 im griechischen Text steht). Es ist der feine Hinweis darauf, dass dieser Mensch nicht mit anderen teilen wollte und möglicherweise allein war, abgeschnitten von der Gesellschaft.

Jetzt will er sich freuen. Auf Griechisch wieder ein Wortspiel: eufrainō bedeutet „sich ergötzen an allen Aspekten des guten Lebens”. Es ist ein seltener Ausdruck, im Klang sehr ähnlich wie der Begriff euforiō, welcher „Früchte tragen in Vielzahl” bedeutet (im Vers 16 übersetzt mit „es trug viel ein”).

Im Vers 20 spricht Gott zu ihm und nennt ihn Tor. Der griechische Text benutzt den Ausdruck afron, der in der Septuaginta (der griechisch-jüdischen Übersetzung des Alten Testamentes, populär im 1. Jahrhundert n.Chr.) immer bedeutet, dass jemand sich gegen Gott auflehnt, bzw. überhaupt nicht mit Gott rechnet. In der Sprache des neutestamentlichen Griechisch ist das der stärkste Ausdruck, um einen Dummen zu definieren.
Der Reiche, der denkt, dass materieller Überfluss (Vers 16: euforeō) ihm ein gutes Leben bringt (Vers 19: eufrianō = sich freuen) ist in Wahrheit ein Narr (Vers 20: afrōn).

Der Ausdruck, der mit fordern übersetzt ist (Vers 20, griech. Apaiteō) bedeutet die einfache Bitte nach der Rückgabe von etwas, die Forderung nach der Zurückzahlung eines Darlehens. Seine Seele war geliehen und der Eigentümer, Gott, fordert jetzt seinen Besitztum zurück.
Er bekam unerwartet großen Reichtum und dachte, er wäre sein Eigentum, aber er irrte sich. Alles, was er hat, empfing er von Gott, nicht einmal seine Seele gehört ihm. Gott nennt ihn einen Toren. Wir finden im Text keine Anschuldigung, nicht einmal die Frage, warum er selbstsüchtig alles für sich behalten möchte, warum er nicht einen Teil seiner Güter für die Hilfe der Armen einsetzt. Gott sagt zu ihm: Sieh ehrlich auf dich selbst! Alles hast du angehäuft, aber was besitzt du wirklich? (Siehe Psalm 49, 11). Hier endet das Gleichnis. Wir hören nicht die Antwort des Toren, wir kennen nicht seine weitere Geschichte.

Zum Abschluss finden wir eine zweite Aussage aus der Tradition der Weisheit (Vers 21). Sie macht einige Schwierigkeiten bei der Übersetzung. Wörtlich würde sie so klingen:
So wird es jedem ergehen, der Schätze für sich sammelt und nicht Reichtum für Gott sammelt.
Das Griechische verwendet zweimal ein aktives Verb, was im Großteil der Übersetzungen nicht sichtbar ist.
Der Tor also arbeitet und investiert seine Zeit und Energie in die Anhäufung materiellen Reichtums für sich selbst, statt seine Energie und Arbeit dem Dienst Gottes zu weihen (bzw. sie Gott zu opfern).
In beiden Fällen geht es um eine aktive Handlung des Menschen. Leben und Anhäufen nur für sich oder Leben und Anhäufen für Gott- in einem wie im anderen Fall ist es etwas Aktives (siehe Lukas 12,33-34.).
 Am Anfang (Vers 15) bemerken wir die Faustregel: das Leben hängt nicht vom Reichtum ab.
Am Ende (Vers 21) finden wir die zweite wichtige Grundlage: den Reichtum soll man als Geschenk Gottes gebrauchen. Und die von Gott erhaltenen Geschenke soll man an Ihn zurückgeben.

Anwendung
Das Gleichnis wirft die Frage nach der Bedeutung des Lebens auf. Es ist ein Kommentar zur Behauptung, dass die Qualität des Lebens nicht vom Reichtum abhängt (Vers 15).
Zwar erinnert das Gleichnis selbst nicht an die Sorge für die Armen, aber aus dem gesamten Lukasevangelium wissen wir, dass Reiche eine Verantwortung für die Armen haben. Das bedeutet auch konkrete materielle Fürsorge und Hilfe (siehe z.B. Lukas 11,41; 12,33; 16,9)
Das Gleichnis äußert sich nicht unmittelbar zur Hilfe für die Armen in materieller Hinsicht, aber jeder Jude wusste, dass Reichsein vor Gott bedeutete, sich konkret um Arme zu kümmern. Der Reiche im Gleichnis war habgierig. Das ist genau das Gegenteil davon, den Armen zu helfen.

Das Gleichnis verurteilt nicht den Reichtum an sich. Die Frage ist nicht, ob Reichsein etwas Gutes oder Schlechtes ist, sondern was wir damit tun, bzw. welchen Platz materielle Dinge in unserem Leben einnehmen.

Wir leben in einer materialistischen Gesellschaft. Für viele -und das betrifft auch Christen- ist eines der wichtigsten Ziele im Leben, fortwährend mehr zu verdienen, um in der Lage zu sein, ein teureres Auto zu kaufen, teurere Kleidung usw. Und auch, um sich die Altervorsorge zu sichern, die den höchsten Gewinn abwirft. Das alles beruht auf dem Gedanken, dass die Qualität deines Lebens umso höher ist und du umso sicherer bist, umso mehr du besitzt. Tatsächlich bedeutet für viele das gesamte Leben der Besitz materieller Güter.
Das betrifft auch die Ärmeren. Für viele Ärmere ist Reichtum ebenso wichtig wie für die Vermögenden. Vielleicht ist der Reichtum für sie unerreichbar, doch er wird zum Ideal, das sie anstreben. Das Gleichnis stellt sich sehr deutlich der gerade üblichen populären Mentalität entgegen.

Die gegenwärtige Schuldenkrise entstand durch menschliche Habgier. Banken und Firmen wollen immer höhere Gewinne erzielen, niemals haben sie genug. Es ist eine extreme Form der Habgier, welche letzten Endes den einzelnen Menschen, aber auch die Gesellschaft zerstört.
Genau dieselbe Habgier finden wir auch bei uns. Mag sein, dass wir weniger besitzen und geringeren Einfluss und weniger Möglichkeiten haben, aber es ist die gleiche Habgier, ähnlich schädlich und zerstörerisch.

Jesus korrigiert auch das Denken: alles, was wir besitzen haben wir als Darlehen von Gott bekommen. Wichtig ist, was wir mit unserem Reichtum tun. Gott möchte, dass wir uns auf Ihn und den Dienst für Ihn konzentrieren. Die beste, sicherste und günstigste Versicherung können wir nur bei Ihm finden.

Der Apostel Paulus schreibt, warum wir arbeiten: als erstes, damit wir nicht eine Belastung für andere sind (1 Thess. 2,9), bzw. damit wir dem Bedürftigen abgeben können (Eph. 4, 28). Das stellt materielle Dinge in ein anderes Licht.
Wir brauchen Geld, um zu leben, die Miete zu bezahlen usw., damit andere nicht für uns bezahlen müssen. Aber wir sollen auch mit anderen teilen, die nicht so viel Glück hatten und nicht so viel besitzen, um im Stande zu sein, sich über Wasser zu halten.

Dieses Gleichnis ist also nicht nur für Reiche. Die törichte Suche nach Sicherheit in materiellen Gütern ist etwas, dass alle, selbst die Ärmsten, betreffen kann.

Jesus konfrontiert uns im Nachdenken über das Gleichnis mit einer Frage: Sind wir wirklich anders als die uns umgebende Welt, setzen wir unsere Hoffnung auf materielle Güter oder auf Ihn?

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